Der folgende Tag begann so wie immer: um fünf Uhr morgens wurde das Licht
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eingeschaltet, die Stimmen, die Rufe und das Gelächter der die Nachtbelegschaft
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ablösenden, mit dem ersten Bus eintreffenden Angestellten, drang von der
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unterhalb der Anstalt gelegenen Haltestelle an unsere Ohren. |
Wenig später
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liefen die Wärter in Dreiergruppen durch die Anstalt. |
Einer schlug mit einem
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Metallstab gegen die Gitter und weckte unsanft die Insassen, ein zweiter schob
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das Frühstück durch einen schmalen Spalt am Boden zu uns in die Zellen hinein.
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An letzter Stelle folgte ein weiterer Aufseher, der gelangweilt den das Essen
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beinhaltenden Wagen vor sich her schob
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«Hast du die Sache mit Albrecht mitbekommen?», fragte Wärter 1 seine hinter ihm
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her schlurfenden, missmutig blickenden Arbeitskollegen. |
«Ja, dem Aas würd ich
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ordentlich eine verpassen und sie dann in die Gosse werfen», fluchte Wärter 2
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und ließ die nächste Essensration schwungvoll in eine Zelle schlittern. |
«Wieso?
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Was ist mit Albrecht?», brummte Wärter 3, blieb stehen und ließ den Wagen los.
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Er richtete sich aus seiner gebeugten Haltung auf, rieb sich ächzend die Hüfte
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und sagte: «Macht seine Alte wieder Ärger?» |
— «Ja, das Miststück hat sich die
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Gören geschnappt und ist einfach zu ihren Eltern abgehauen», zeterte Wäter 1
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und zog den verrosteten Stab in seinen Händen laut scheppernd über die Gitter
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wie einen Schlägel über ein Xylophon. |
«Weil er zu viel arbeitet,
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Nachts nie zuhause ist und den ganzen Tag schläft, und weil er sich am
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Wochenende nur besäuft», fügte er knurrend hinzu. |
«In dem scheiß Staat hier
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musst du Glück haben, wenn du überhaupt irgendeine Drecksarbeit findest»,
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bemerkte Wärter 3, und schon das Vehikel ein Stück weiter. |
Wärter 2 pflichtete
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ihm bei: «Die Dame soll lieber froh darüber sein, dass sich ihr alter Herr die
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Nachtschicht in einer solchen Anstalt aufhalst und damit ihren Hintern warm
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hält», sagte er und zog dabei die nächste Portion aus dem Frühstückswagen
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Bei den Wärtern handelte es sich um die scheußlichsten Gestalten.
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Jeder einzelne von ihnen war an die 2,30m groß und kräftig gebaut.
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Am Ende ihrer wie Baumstämme wirkenden Beine trugen sie mit Stahlplatten
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beschlagene Stiefel, die an der Seite mit klappernden Schnallen verschlossen
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waren, ihre Arme steckten in Handschuhen, die fast bis zu den Schultern
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reichten, um die dicken Leiber der Männer waren schmutzige, abgetragene
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Lederschürzen gebunden, unter denen sich ihre Kugelbäuche abzeichneten.
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Die riesigen Schädel waren allesamt kahl rasiert, man konnte sehen wie sich
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die Haut im Nacken zu speckigen Wulsten zusammenquetschte. |
Alle Wärter hatten
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aufgedunsene Mondgesichter mit winzigen, dicht am Kopf anliegenden Ohren und
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riesigen, hervorgestülpten Lippen, die im kalten Neonlicht der Anstalt altrosa
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schimmerten. |
Sie blickten arglistig aus kleinen, zusammengekniffenen Augen,
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die durch die gelben Gläser ihrer schwarzen Plastikbrillen übernatürlich und
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karikaturesk vergrößert wurden
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Jetzt blieben sie vor Lazarus stehen. |
«Schau mal an, unser Lieblingspatient»,
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sagte Wärter 2. Die Männer glotzten hämisch in die Zelle und verschmierten mit
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den Handschuhen den Dreck auf ihren Brillengläsern. |
Lazarus, der nach seinem
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Zornesausbruch am Abend zuvor zusammengebrochen und auf dem Boden eingeschlafen
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war, sah die Wärter hasserfüllt an. |
Er wartete jeden Tag erneut auf den
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richtigen Zeitpunkt, ihnen die vielen ausgeteilten Demütigungen heimzuzahlen.
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«Na, haben wir heute Nacht wieder große Reden geschwungen?», spottete Wärter 1
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und ließ dabei seinen Metallstab zwischen den Gitterstäben hin und her klimpern.
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Während Wärter 3 die Arme verschränkte und lachte, trat Wärter 2 dicht an die
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Zelle heran und sah auf Lazarus herab. |
Dann ließ er dessen Frühstück fallen,
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und zertrat es mit seinen Stiefeln. |
«Hier mein Freund, kauf dir was schönes»,
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flüsterte er. |
Die anderen Männer grinsten. |
«Wenn du dich nur einmal selbst
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sehen könntest wie du so darliegst». |
Lazarus hielt den Atem an. |
Die Wut stieg
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langsam in ihm auf und braute sich zu einem unbändigen Sturm zusammen. |
«Was für ein erbärmlicher Anblick», sagte der Wärter und spuckte auf meinen
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Zellennachbarn. |
Jetzt war es zu viel. |
Lazarus sprang gepeinigt auf und schrie
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aus Leibeskräften: «Arschloch! |
Du gottverdammtes Arschloch!» |
Er versuchte,
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sich zwischen den Gitterstäben hindurchzupressen und die Männer zu packen.
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Seine Arme griffen vergeblich ins Leere. |
Wärter 1 begann sofort,
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mit der Spitze des Metallstabes auf Lazarus' Gesicht zu zielen und
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umbarmherzig zuzustoßen, während die anderen Männer ihre Schlagstöcke zogen und
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auf die Gitter prasseln ließen. |
Unter den Insassen brach Panik aus.
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Die Anstalt war erfüllt von gellendem Geschrei
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Lazarus wich kreischend zurück. |
Ein Schlag hatte ihn direkt in sein Auge
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getroffen. |
Er kauerte sich in der Zellenecke zusammen und wimmerte.
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Das Blut begann durch seine vor das Gesicht gehaltenen Hände zu strömen.
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«Das hast du jetzt davon, du gottverdammte Drecksau!», schrie Wärter 2, «du hast es verdient, hörst du? |
Du hast es verdient!» |
Die Bedeutung dieser Worte
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versetzte jeden Muskel in Lazarus' Körper in einen Zustand höchster Anspannung.
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In einem letzten Aufbäumen seiner Kräfte sprang er auf und warf sich so fest
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er konnte wieder und wieder gegen die Gitter. |
Mit jedem Aufprall bogen sich die
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Stäbe weiter nach außen, und brachen die Scharniere mehr, das Schloss ächzte.
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Unter den Schlägen der Wärter, die ihn weiter antrieben als besänftigten,
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stemmte Lazarus sein Gewicht wie ein Berserker gegen die Zellentüre und
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schaffte es schließlich sie aufzubrechen. |
Die Aufseher verstanden,
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dass die Situation außer Kontrolle geraten war und ergriffen in
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entgegengesetzte Richtung die Flucht. |
Lazarus, dessen Raserei nichts auf der
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Welt hätte aufhalten können, dicht auf den Fersen. |
Er hatte es auf Wärter 2
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abgesehen und schaffte es, diesen zu Fall zu bringen. |
Der Mann rollte wie eine
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Puppe über den Boden und prallte gegen die geschlossene Tür am Ende des Ganges.
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Noch bevor er sich wieder aufrichten konnte, rammte Lazarus dem Wärter mit
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voller Wucht seinen Schädel in den Magen. |
Rippen knackten wie die Schale einer
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Walnus, der Körper des Aufsehers brach in sich zusammen. |
Man hörte einen
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dumpfen Schlag als sein Kopf auf der Erde aufschlug. |
Lazarus prügelte blind vor
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Hass wieder und wieder mit den Fäusten auf ihn ein, bis das Gesicht des Mannes
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eine einzige pulsierende Masse war
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Von außerhalb der Halle konnte man die Schreie der geflüchteten Wärter hören.
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«Nero! |
Himmel hilf, hat jemand Nero gesehen? |
Wir brauchen Nero!
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«Die Insassen, die dem Spektakel zwar entsetzt doch schaulustig mit ihren
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Blicken beigewohnt hatten, verkrochen sich beim Klang dieses Namens in die
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hintersten Ecken ihrer Zellen. |
Lao-Tse sagte noch «Und wieder einer»,
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als am Ende des Ganges bereits lautstark eine Tür gegen die Wand geschlagen
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wurde. |
Nero zwängte sich geduckt durch den Rahmen und richtete sich in der
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Halle auf. |
Er war ein an die vier Meter großes bleiches Monster mit weit nach
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vorne stehenden Kiefern und dicht in den Höhlen liegenden Augen.
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Sein voluminöser Brustkorb steckte in einem rüstungsähnlichen Metallpanzer,
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der sich bei jedem Atemzug sichtbar hob. |
In seinen riesigen ledrigen Händen
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hielt er eine längliche Maschine, an deren Oberseite Leuchtdioden blinkten.
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Das Gerät gab in regelmäßigen Abständen drei Schrille Töne von sich und war
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über Kabel und Schläuche mit einem schwarzen Batteriekasten verbunden,
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der um Neros Hüften an einem Gürtel hing. |
Lazarus ließ, durch die Töne
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aufgeschreckt, von seinem Opfer ab und blickte auf. |
Als er Nero in die Augen
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sah, wichen die Wut und der Zorn aus seinem Gesicht und wurden durch einen
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Ausdruck reiner Angst ersetzt. |
Mit nur wenigen gestreckten Sprüngen erreichte
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Nero das andere Ende der Halle. |
Er steckte die Maschine ruckartig in ihr
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Halfter, dann umgriffen seine Hände Lazarus Unterschenkel und rissen ihn in die
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Höhe. |
Nero wirbelte den Körper meines Zellennachbarn durch die Luft,
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als würde er eine Flagge schwenken. |
Dann schlug er Lazarus wie einen nassen
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Sack auf den Boden. |
Das Blut spritzte aus der Nase nach allen Seiten. |
Lazarus’s Leib durchzuckten tausend Krämpfe. |
Das Gehirn spielte während des
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Todeskampfes ein Programm ab, dessen Ziel es war, sich aus Neros Griff zu
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befreien, doch es war aussichtslos. |
Lazarus stieß einen so hohen und schrillen
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Schrei aus, wie ich in meinem Leben noch nie zuvor einen Schrei gehört hatte.
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Die Hände des Monsters umklammerten ihn fest wie einen Schraubstock und
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schmetterten seinen Leib so lange auf die schmutzigen Kacheln, bis der Kopf
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platzte. |
Als sich mein Zellennachbar nicht mehr bewegte, ließ ihn Nero fallen.
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Er zog die Maschine hervor, setzte sie an Lazarus' Rückgrat an,
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kniete sich auf ihn und bog seinen Körper nach oben
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Klack!
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Nero drückte ab. |
Durch Lazarus' Wirbelsäule fraß sich Metall und drang aus
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seiner Brust wieder an das Vormittagslicht der Neonlampen |